1?Spiegelbilder
Im September 1941 gibt Conrad Veidt der Journalistin Gladys Hall ein Interview. Gerade erst hat der Star sein Image als Dämon der Leinwand aufgefrischt, mit seinem Auftritt als Bösewicht Jaffar in The Thief of Bagdad (Der Dieb von Bagdad, 1940). In der Frühphase seiner Karriere war Veidt auf die Darstellung düsterer Grenzgänger und Nachtgestalten abonniert, trotz seines attraktiven Äußeren. Diese mysteriöse, metaphysische Aura umgibt ihn auch im wahren Leben wie Augenzeugen berichten, bevor sie den Kavalier hinter der Chimäre kennen lernten: «Er hat beschwörende Augen. Einen unheimlichen Mund. Eigenartige Hände. Sein Gang ist beängstigend – und faszinierend. Sein Lächeln kann sadistisch sein – oder sehr possierlich. Da ist etwas an ihm, das nicht ganz normal erscheint. Aber ich weiß nicht, was es ist. Man schaut ihn an und denkt ‹Irgendetwas geht hier vor!›», so beschreibt Gladys Hall den Star ihren Lesern. Veidt begegnet seinem mysteriösen Image gern mit Selbstironie. «Nein, ich wurde nicht mit einem Monokel im Auge geboren.» Sagt er 1934 in einem Interview: «Ich bin nicht annähernd das, was man sich vielleicht vorstellt, nachdem man meine Bilder gesehen hat. Glauben Sie mir, ich bin ein völlig normaler Mensch, die übliche komplexe, in sich gekehrte, geheimnisvolle, facettenreich-verwirrende Mischung wie sie jeder von uns ist.» Es waren vor allem seine gespenstischen Rollen, die Conrad Veidt unvergessen und zum Maßstab für spätere Leinwand-Dämonen wie Christopher Lee machten. Lee bezeichnete Conrad Veidt als sein großes schauspielerisches Vorbild.
Angefangen hat alles 1920 mit dem Horrorklassiker Das Cabinet des Dr. Caligari. Für Veidt ist die Rolle des Somnambulen Cesare, der im Auftrag seines Meisters Dr. Caligari mordet, der weltweite Durchbruch. Ein Jahr zuvor sorgt Veidt zusammen mit dem Filmemacher Richard Oswald für einen handfesten Skandal. Anlass ist der Aufklärungsfilm Anders als die anderen (1919), der sich für die Rechte Homosexueller stark macht. Es ist der erste Film dieser Art weltweit und eines jener Werke, die Conrad Veidt zur Kultfigur werden lassen. Innerhalb weniger Jahre schafft er den Aufstieg zum Weltstar. Von 1926 bis zur Einführung des Tonfilms arbeitet Veidt in Hollywood. Dort entsteht einer seiner bis heute bekanntesten Filme: The Man Who Laughs (Der Mann, der lacht, 1928). 15 Jahre später ist Conrad Veidt wieder in Hollywood, doch die Situation ist eine völlig andere. Der Star ist im Exil. Er gehört zu denen, die Nazi-Deutschland verlassen haben – freiwillig. Propagandaminister Goebbels will Veidt für den deutschen Film. Immerhin ist er einer der wenigen Weltstars Made in Germany, ein Publikumsliebling mit jahrelanger Film und Bühnenerfahrung. Die Nazis hofieren ihn, versuchen Veidt mit lukrativen Rollen zu ködern und dem Versprechen, seiner jüdischen Ehefrau einen Arierausweis auszustellen. Conrad Veidt lehnt ab. Er will nicht schweigen, will seine Kunst nicht in den Dienst des Terror-Regimes stellen. Lieber geht er 1934 ins Exil und bekämpft die Nazis mit seinen Mitteln. Conrad Veidt prägte die Filmfigur des Nazi-Schurken. Unvergessen ist bis heute sein Auftritt als Major Strasser in dem Kultklassiker Casablanca (1942).
1941 beginnt ein neuer Abschnitt in Veidts Leben. Er hat inzwischen die englische Staatsangehörigkeit angenommen und steht unter Vertrag bei MGM. Zeit für ein vorläufiges Fazit. Gladys Hall spielt mit dem Star ein Spiel: Veidt analysiert sich beim Blick in einen Spiegel und beschreibt die Facetten des Mannes, den er sieht. «Die Menschen sagen ‹Das Leben hinterlässt seine Spuren in den Gesichtern›?… nun denn, welche Rechenschaft legt dieses Gesicht, das für so seltsam gehalten wird, im Spiegel ab? Vielleicht ist es so, dass das Leben seine Spuren in unsere Gesichter kerbt. Aber ich sage, die Spuren sind nur äußerlich, es sind keine inneren Spuren. (…) Hat das Leben mir solche Dinge angetan, dass es meine kleine, fette Seele (‹little fat soul›) so verändert hat?» Mit ‹little fat soul› spielt Veidt auf die Widersprüchlichkeit an, dass er, der «wandelnde Kadaver», sein Leben mit deutlichem Übergewicht begann: «Als ich geboren wurde – das ist wirklich lustig – war ich fett. Einen solch fetten Säugling haben Sie noch nie gesehen. Ich hatte einen Bruder, der drei Jahre älter war als ich. Er war ein sehr hübscher kleiner Junge. Wenn die Leute ihn (…) auf der Straße sahen, dann hielten sie an und sagten: ‹Was für ein wunderhübscher kleiner Junge!› Sie hörten gar nicht mehr auf damit. Dann schauten sie zu mir in meinen Kinderwagen und sagten: ‹Oh.› Nichts weiter. ‹Oh.› zu dem fetten, hässlichen, schnarchenden Säugling. Außerdem noch o-beinig, so ungefähr (…)». Veidts Interviewpartnerin Gladys Hall kam an dieser Stelle in den Genuss einer kleinen Privatvorstellung und erlebte den «Dämon der Leinwand» in einer Sparte, die er ebenso beherrschte wie den Horror – den Humor: «Herr Veidt sprang von seinem Stuhl auf und gab eine ausgezeichnete Pantomime eines dicken, schnarchenden und o-beinigem Babys. Es war ein köstlicher Anblick.» Beim Blick in den Spiegel zeigt Conrad Veidt auch seine sentimentale, vom Heimweh geplagte Seite: «Manchmal, ich gestehe es, denke ich viel nach; über meine Vergangenheit. Über meine verstorbenen Eltern. Ich mag es zu träumen, (mit meinen Gedanken) zu schweifen?…».