Ökologische Krise, Krise der liberalen Weltordnung, Demokratiekrise, Wirtschaftskrise, Krise der Migrationspolitik und Identitätskrise. Angesichts der Polykrise breitet sich zunehmend die Angst vor der Zukunft aus, die insbesondere von Vertreter:innen des rechten politischen Spektrums instrumentalisiert wird. Die Hoffnung auf Besserung der momentanen Verhältnisse schrumpft zunehmend, außer auf dem Buchmarkt. Dort erlebt die Hoffnung nämlich eine Renaissance. Fachwissenschaftliche Bücher zur Geschichte, Philosophie und Theologie dieser Tugend und dieses besonderen Weltverhältnisses werden publiziert, aber auch populärwissenschaftliche, die meist nur oberflächliche Rezepte für ein gutes Leben präsentieren.
Zu kurz kommt in den Büchern vielfach die autobiographische Dimension von Hoffnung. Welche persönlichen Erfahrungen haben Personen gemacht bzw. welche Krisen haben sie erlebt, aus den sie Hoffnung schöpfen? Zur Beantwortung der Fragen hat C. Juliane Vieregge ein literarisches Sachbuch unter dem Titel „Was wirklich zählt. 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ vorgelegt. Dieses ist im Schüren Verlag erschienen. Bekanntheit erlangte die Autorin, Online-Journalistin und Lehrerin u.a. durch ihre Bücher „Die Perle in der Auster. Ein Plädoyer für mehr Leidenschaft“(2012) und „Lass uns über den Tod reden“(2018).
In ihrem neuen Buch hat Vieregge 18 Menschen in persönlichen Interviews u.a. folgende Fragen gestellt:
Worauf kommt es Ihnen im Leben an?
Wie sind Sie mit Herausforderungen im Leben umgegangen?
Woraus schöpften Sie in Krisensituationen Hoffnung?
Welche Ziele wollen Sie in ihrem Leben noch verwirklichen?
Die von Vieregge getroffene Auswahl der Interviewpartner:innen überzeugt durch Berücksichtigung der gesellschaftlichen Vielfalt. Vertreten sind u.a. der Klimaforscher Mojib Latif, die Schwarzwald Dragqueen Betty BBQ, der irakisch-deutsche Schriftsteller Najem Wali, die Schauspielerin Marie Theres Relin, der Astronaut Ulf Merbold, die Kabarettistin Gerburg Jahnke, der Gründer der internationalen Hilfsorganisation „STELP“ Serkan Eren, die Politikerin Katja Wolf, der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer, die Eisenacher Köchin Maria Groß, der Sänger der „Prinzen“ Sebastian Krumbiegel und die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher.
Die geführten Interviews hat Vieregge so gekonnt in biographische Erzählungen in der Ich-Form transformiert, dass der persönliche Sprachstil der Gesprächspartner:innen erhalten geblieben ist. Wie Menschen Krisenzeiten erleben, wie sie damit umgehen, warum sie Hoffnung schöpfen, all dieses erfährt man detailliert anhand der empathisch verfassten Geschichten in dem Buch. Aufschlussreiche persönliche Einleitungen Vieregges zu den Großkapiteln beleuchten zudem einzelne Aspekte von Hoffnung. So liefert das literarische Sachbuch eine anschauliche Phänomenologie des Umgangs mit Krisenzeiten in der gegenwärtigen Gesellschaft. Einzelne Interviews oder Ausschnitte aus diesen sind m.E. aufgrund ihrer guten Lesbarkeit und Prägnanz auch für den Einsatz im Ethik- oder Religionsunterricht geeignet. Die Texte regen zur Reflexion über existenzielle Fragen an, denen in der digitalen Beschleunigungsgesellschaft oftmals zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Fazit: Das Buch „Was wirklich zählt“ von C. Juliane Vieregge kann allen Personen, die sich mit den zentralen Fragen des Lebens privat oder beruflich differenziert auseinandersetzen möchten, nur zur Anschaffung empfohlen werden. Das Buch macht Hoffnung, dass es sich lohnt, in einer Zeit sich vielfach überlagernder Krisenphänomene den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Mit ihrem Werk leistet die Autorin so einen produktiven Beitrag zur Lebenshilfe.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de