Jerry Lewis
Eine Retrospektive der Viennale und des österreichischen Filmmuseums 2013
Der deutschsprachige Katalog enthält sowohl neue als auch klasssische Texte, ausgewählte Interviews, autobiografisches Material, sowie Besprechungen von Filmen von Jerry Lewis
«Dass wir das noch erleben dürfen – eine große, umfassende Jerry Lewis-Retrospektive im deutschsprachigen Raum. Fantastisch! Kennt ihr günstige Hotels in Wien?» «Ach, wen soll der denn noch hinterm Ofen hervorlocken? Ihr Europäer findet Lewis offenbar immer noch gut – unverbesserlich!»
Diese beiden Reaktionen, die es auf eine erste Ankündigung der Retrospektive 2013 bereits gegeben hat, entsprechen zwei klassischen Lagern von Filmfreunden. Die einen sind vornehmlich in Europa beheimatet und verehren den Amerikaner Jerry Lewis seit den 1960ern – heute inzwischen in dritter Generation – aufs Innigste. Er erscheint ihnen als rechtmäßiger Erbe der klassischen großen Filmkomiker Chaplin, Keaton oder Laurel & Hardy, ja, letztlich als der Komiker des US-Kinos seit Beginn der Tonfilmzeit. Sie schätzen besonders das extrem Körperbetonte und Groteske seines Spiels sowie die charakterfeste Art und Weise, wie er sich als Regisseur selbst in Szene setzt. Lewis ist für sie ein Auteur reinster Prägung – ein ganzheitlicher Künstler, dessen Filme in praktisch jedem Detail ein bestimmtes Aroma freisetzen, dem man, so man einmal gelernt hat, es zu riechen, aufs Süßeste verfällt. Die Filmfreunde des anderen Lagers sehen in Lewis’ Werk zwar die gleichen Qualitäten, nehmen das gleiche Aroma darin wahr, doch schütteln sie sich, und das ebenfalls in inzwischen dritter Generation. Lewis ist für sie ein schriller Selbstdarsteller, der sich im Medium geirrt hat und besser auf der Bühne geblieben wäre, ein undifferenzierter Clown fürs Volk, dem es an «urban wit» mangele. Wo genau Jerry Lewis – man darf sagen, das «Phänomen Lewis» – eine Scheidelinie zwischen den beiden Lagern, die wiederum für zwei kulturelle Orientierungen stehen, markiert, ist eine große reizvolle Frage der Filmgeschichte, die noch nie wirklich beantwortet worden ist. Auch berührt sie einen Punkt, der gern etwas schamvoll beiseite gelassen wird, nicht viel anders, als wenn er sexuelle Vorlieben beträfe: Wie lache ich? Laut? Unbändig? Hinter vorgehaltener Hand? Aus dem Bauch heraus? Was bringt mich überhaupt zum Lachen? Wortwitze? Derbheiten? Ironien? Krachende Absurditäten? Habe ich beim Lustspiel Lust am «Spiel»? Etwa am Spiel eines schlaksigen und geradezu aberwitzig elastischen Körpers, der in der «Blödheit», mit der er z. B. immer wieder hinfällt, eine sagenhafte Geschmeidigkeit an den Tag legt? Macht diese Geschmeidigkeit mir Freude, macht sie mir Lust? Das sind einige wesentliche und intime Fragen, die das «Phänomen Lewis» noch vor jeder kritischen Reflexion an die Zuschauer seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue stellt. Und mit Sicherheit beantwortet.